Worauf der Uni-Campus baute

Veröffentlicht von Administrator am 13.01.2024

HNA vom 13. Januar 2024

Ausstellung beleuchtet Abriss der alten Henschelei

Alte Industriebauten mussten weichen: Das Bild zeigt die Trümmer der 1979 abgerissenen Produktionshalle K9. FOTO: WILFRIED CLOOS /NH
Alte Industriebauten mussten weichen: Das Bild zeigt die Trümmer der 1979 abgerissenen Produktionshalle K9. FOTO: WILFRIED CLOOS /NH

VON KATJA RUDOLPH


Kassel – Der Uni-Campus am Holländischen Platz mit seinen verschachtelten Klinker-Bauten wirkt heute fast schon historisch. Doch für die in den 1980er-Jahren errichteten Neubauten wurde damals ein wichtiges Stück Kasseler Industriegeschichte weitgehend aus dem Stadtbild ausgelöscht: Die Fabrikgebäude auf dem ehemaligen Henschel-Gelände wurden weitgehend abgerissen für den Ausbau der jungen Gesamthochschule (GhK).
Was wäre gewesen, wenn man die Industriebauten erhalten und für Hochschulzwecke umgenutzt hätte? Dieses Gedankenspiel macht eine Ausstellung auf, die derzeit am Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung (ASL) zu sehen ist. Unter dem Titel „Abriss oder Erhalt – Die Henschelei und die Gesamthochschule“ steht der Umgang mit den historischen Bestandsgebäuden im Mittelpunkt – und die Debatten, die sich daran entzündeten.
Gegen den Abriss gab es Ende der 1970er-Jahre heftige Kritik von Studierenden und Professoren der GhK. Alexander Stumm, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen, spricht von einem der frühesten Beispiele einer Bewegung gegen die herrschende Abrisspraxis und für den Erhalt eines nicht als denkmalwürdig erachteten Areals.
Auf dem Gelände am Holländischen Platz befand sich rund 150 Jahre lang der Stammsitz der Firma Henschel & Sohn. Das Unternehmen machte sich mit dem
Bau von Dampflokomotiven ein Namen. Im Dritten Reich wurde Henschel zum nationalsozialistischen Rüstungsbetrieb – und machte Kassel damit auch zu einem wichtigen Ziel der alliierten Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg. 1973 wurde das bereits brachliegende Stammwerk an das Land Hessen verkauft.
Dort sollte ein zentraler Campus für die neu gründete GhK entstehen. Es folgte eine jahrelange, teils heftige Debatte um den Umgang mit der historischen Bausubstanz. Diese wird in der Ausstellung anschaulich gemacht.
Auch studentische Projektgruppen erarbeiteten Entwürfe für die Umnutzung und Sanierung der ehemaligen Henschel-Hallen. Ihre Ideen machten sie als Gegenvorschlag zur Planung mit einer Plakataktion bekannt. Den vom Land ausgelobten Architektenwettbewerb gewann 1978 Lutz Kandel (Stuttgart). Auch der Wandel seines Entwurfs, der zunächst den Erhalt einer Halle vorsah, wird gezeigt. Umgesetzt wurde dann eine Variante mit weitgehendem Rückbau, wobei die Neubauten mit ihren Klinkerfassaden an die Industriegeschichte des Orts anknüpfen sollten.

Der Abbruch sei eine politische Entscheidung gewesen und wurde mit zu hohen Kosten für einen Erhalt der Industriehallen begründet, sagt Alexander Stumm. „Aber man wollte sich mit dem kontaminierten Erbe, das Teil der Kriegsmaschinerie war, nicht auseinandersetzen.“ Der – letztlich vergebliche – Protest gegen den Abriss wird anhand von alten Fotos und Plakaten nachvollzogen. Sogar zu Besetzungen kam es, in deren Zuge Studierende sich Arbeitsräume im alten Henschel-Gemäuer herrichteten. Bei den Recherchen im ASL-Archiv stieß Studentin Lara

Aufnahme von 1978: Damals standen die Henschel-Hallen am Holländischen Platz noch. Vorne links das erhaltene Gebäude K10, hinten rechts der 64 Meter hohe Schornstein, der heute noch als Landmarke wirkt. ARCHIVFOTO: HARALD SERINGHAUS
Aufnahme von 1978: Damals standen die Henschel-Hallen am Holländischen Platz noch. Vorne links das erhaltene Gebäude K10, hinten rechts der 64 Meter hohe Schornstein, der heute noch als Landmarke wirkt. ARCHIVFOTO: HARALD SERINGHAU

Loescher unter anderem auf bislang unbekannte Aufnahmen, die der damalige Professor Lucius Burckhardt auf dem Industrieareal gemacht hatte – „ein Riesenschatz“, sagt Stumm. Hätte aus heutiger Perspektive eine Umnutzung von Fabrikhallen zu Hörsälen gelingen können? Alexander Stumm ist davon überzeugt: „Es hätte ein wegweisendes Projekt werden können.“ Die Ausstellung solle auch bewusst machen, dass angesichts der Klima-, Umwelt und Energiekrise ein Umdenken stattfinden müsse. Denn für jedes Bestandsgebäude sei bereits so viel Energie aufgewendet worden, dass selbst ein Neubau mit Vorzeige Ökobilanz einen Abriss kaum aufwiegen könne.

Abrissbagger: Im August 1980 wurde trotz Protesten die ehemalige Henschel-Halle K8 abgerissen, zuvor war bereits der benachbarte Halle K9 gewichen. ARCHIVFOTO: BARON
Abrissbagger: Im August 1980 wurde trotz Protesten die ehemalige Henschel-Halle K8 abgerissen, zuvor war bereits der benachbarte Halle K9 gewichen. ARCHIVFOTO: BARON
Beeindruckende Industriearchitektur: Diese Aufnahme war Teil einer Postkartenserie, mit der Studierende sich für den Erhalt der Henschelei einsetzten. FOTO: UNI KASSEL/NH
Beeindruckende Industriearchitektur: Diese Aufnahme war Teil einer Postkartenserie, mit der Studierende sich für den Erhalt der Henschelei einsetzten. FOTO: UNI KASSEL/NH

Zuletzt geändert am: 24.05.2024 um 02:25

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