Sie wollte keine Feierlichkeiten

Veröffentlicht von Administrator am 05.04.2024

HNA vom 5. April 2024

LEBENSERINNERUNGEN Sophie Henschel beschreibt in Memoiren an ihre Kinder einige Stiftungen

Sophie-Henschel-Platz: Unternehmerin Sophie Henschel hat das Krankenhaus an der Hansteinstraße maßgeblich finanziert. Ihr zu Ehren wurde der Platz davor Sophie-Henschel-Platz genannt, der aus städtebaulicher, geschichtlicher Sicht als Kulturdenkmal gilt.
Sophie-Henschel-Platz: Unternehmerin Sophie Henschel hat das Krankenhaus an der Hansteinstraße maßgeblich finanziert. Ihr zu Ehren wurde der Platz davor Sophie-Henschel-Platz genannt, der aus städtebaulicher, geschichtlicher Sicht als Kulturdenkmal gilt. FOTOS: CLAUDIA FESER (3), HENSCHELMUSEUM (2)

Sophie Henschel (1841 – 1915) hat mit 71 Jahren ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Sie zeigen uns ein privates Bild der Kasseler Lokomotivfabrikantin und Mäzenin. Wir veröffentlichen ihre Erinnerungen in Auszügen.

VON CLAUDIA FESER


Kassel – Sophie Henschel war erfolgreiche Lokomotivfabrikantin, aber auch Mutter von vier Kindern und Großmutter von 17 Enkeln. In ihren handschriftlichen Lebenserinnerungen, die sie 1912 für ihre längst erwachsenen Kinder aufgeschrieben hat, geht sie auch auf ihr gesellschaftliches Leben in Kassel ein. Dazu gehört zweifellos ihr Engagement für die Menschen in der Stadt. Auf dem Straßenschild vor dem früheren Rot-Kreuz-Krankenhaus an der Virchowstraße in Wehlheiden, dessen Bau sie maßgeblich finanziert hat, wird sie als Mäzenin bezeichnet. Wir veröffentlichen Auszüge aus ihren Lebenserinnerungen, die ihre Rolle als Stifterin zeigen.
Wenige Wochen nach dem Tod ihres geliebten Ehemannes Oskar Henschel im Jahr 1894 fasste Sophie Henschel einen Entschluss. Den formuliert sie an ihre vier Kinder so: „Ich beschloss, dieses schwerste Jahr meines Lebens mit dem festen Vorsatz, die mir verbleibende Kraft bis an mein Ende zu verwenden, Liebe zu üben und Anderer Leid und Not zu linden.“ Damals war sie 53 Jahre alt. Ihre Unterstützung und Stiftungen linderten Leid und Not und waren sichtbares Zeichen für die Liebe zu ihrer Stadt, in die sie nach ihrer Hochzeit mit Oskar Henschel gezogen und die 47 Jahre lang ihr Zuhause war.

Glocken Lutherkirche
Sie schreibt in ihren Erinnerungen für das Jahr 1896, also zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes: „Für die neue lutherische Kirche am Lutherplatz hatte ich vier Glocken gestiftet, welche der Größe nach folgende Inschrift trugen: 1. Ehre sei Gott in der Höhe; 2. Friede auf Erden; 3. Und den Menschen ein Wohlgefallen, Amen; IV. In treuem Sinn an ihre glockengießenden Vorfahren gestiftet durch die Hinterbliebenen von Oskar Henschel, geboren 19. Juni 1837, gestorben 18. November 1894.“

Lungenheilstätte
„Unter dem Vorsitz des Oberpräsidenten Magdeburg war hier ein Ausschuss gebildet worden, um eine Heilstätte für Lungenleidende im Regierungsbezirk Kassel zu erbauen. Die Kosten wurden auf 250 000 Mark veranschlagt. Ich ließ dem hiesigen Vaterländischen Frauenverein diese Summe ohne Namensnennung zustellen, um diese Heilstätte zu bauen. So war der dafür gebildete Ausschuss sowie eine Sammlung desselben überflüssig geworden.“ Dabei handelte es sich um die Lungenheilstätte Oberkaufungen, die am 1. April 1900 eingeweiht wurde. Heute befinden sich auf dem Gelände die Helios-Klinik Kassel, eine Klinik für Geriatrie, und das DRK-Altenpflegeheim Kaufungen, beide liegen am Sophie-Henschel-Weg.
Für den Bau einer Kapelle an der Lungenheilstätte, die im März 1913 eingeweiht wurde, spendete Sophie Henschel ebenfalls das Geld. Das erwähnt sie in den Lebenserinnerungen an ihre Kinder jedoch nicht, obwohl die Bauarbeiten Ende 1912, als sie die handschriftlichen Lebenserinnerungen beendete, bereits begonnen hatten.

Sänger-Fahne
Sie berichtet von ihrem 60. Geburtstag im Jahr 1901: „Eine große Überraschung bereitete mir auch die Henschelsche Sängervereinigung, welche mir morgens um 9 Uhr auf dem Vestibül ein Ständchen brachte. Es klang wunderschön, und der kleine Oscar (der damals knapp dreijährige Sohn ihrer Tochter Elisabeth) sprang seelenvergnügt zwischen den Sängern herum.
(...) Als die Sängervereinigung mir das Ständchen brachte, versprach ich derselben, eine Fahne zu stiften. Ich ließ dieselbe in Münden genau nach meinen Angaben sticken, und am 6. März 1902 überreichte ich sie dem Vorstand mit folgender Ansprache: „Schon im vorigen November versprach ich Ihnen die Stiftung einer Fahne oder Standarte, aber gut Ding will Weile haben, und erst heute kann ich mein Versprechen einlösen. Sie haben mich damals durch das schöne Ständchen sehr erfreut. Nicht nur durch den Wohlklang und Vortrag der Gesänge und Lieder, sondern ebenso durch die Gesinnung, welche Sie beweisen, indem Sie es mir brachten. Der gute Geist, welcher die Sängervereinigung beseelt, kommt zum Ausdruck in einigen Zeilen, welche ich auf die Rückseite der Standarte sticken ließ. Sie lauten: Treu unser Herz, wahr unser Wort, deutsch unser Lied, Gott unser Hort. Mit dem herzlichsten Wunsche, dass dies stets der Wahlspruch der Sängervereinigung bleiben möge, übergebe ich deren Vorstand die Standarte.“ Die Sängervereinigung war stolz erfreut durch dies Geschenk. Am 27. Juli fand die Fahnenweihe bei einem Morgenkonzert im Arbeiterfortbildungsverein statt, und Frauen und Töchter der Arbeiter stifteten ein Band. (...)

Krankenhaus
Am 2. November 1908 wurde das neue Rot-Kreuz-Krankenhaus an der Hansteinstraße eingeweiht. Es gab vorher kolossal viel zu tun. Erna und ich sowie einige andere Vorstandsmitglieder arbeiteten dort morgens und nachmittags. Als Vertreterin des Hauptvorstandes des Vaterländischen Frauenvereins in Berlin kam unsere frühere Oberpräsidentin Gräfin Eulenburg und logierte bei mir. Meine Kinder und die Schwiegersöhne außer Schelling, der keinen Urlaub nehmen konnte, waren bei der Einweihung anwesend und halfen mir abends, wo sich alle bei mir vereinigten, die im Vorstand oder den Sektionen des Vaterländischen Frauenvereins tätig waren, Ärzte und so weiter, die Honneurs zu machen.
Natürlich war auch die Frau Oberin mit den abkömmlichen Schwestern anwesend. Die Kaiserin hatte mir durch ihren Vertreter, Exzellenz von der Knesebeck, eine große eingerahmte Fotografie von sich und ihren beiden jüngsten Kindern überreichen lassen. Ich hatte zum Bau des Krankenhauses eine halbe Million gestiftet, hernach viele Bäume, den Drahtzaun und circa 20 000 Mark gegeben für die Anlage des großen Gartens. Auch Karl (ihr Sohn, der seit Juli 1900 als Teilhaber in die Firma Henschel & Sohn eingetreten war) gab Bäume für denselben. Der Magistrat von Kassel sandte mir zu meinem Geburtstag ein Gratulationsschreiben, in welchem er mich benachrichtigte, dass er beschlossen, den freien Platz vor dem Krankenhause „Sophie Henschel Platz“ zu nennen. Einstweilen ist dort noch Gemüseland, und ich werde es sicherlich nicht erleben, dass der Platz angelegt wird. (...)

Brunnen
Am 6. Juli 1912 wurde der von mir der Stadt Kassel für das Rathaus gestiftete Brunnen enthüllt; es geschah auf meinen ausdrücklichen Wunsch ohne jede Feierlichkeit.
Der Bildhauer Everding in Rom hat den Brunnen modelliert und in Travertin-Stein ausgeführt. Auf hohem Postament steht eine mächtige Frauengestalt mit zwei Kindern, auf der Hüfte hat sie eine Canéa, welche die Frauen in der Gegend um Rom zum Wassertragen benutzen.
Die Kasselaner mutet das fremdartig an und ich hätte auch lieber eine auf Hessen bezügliche Darstellung gehabt. Die Angelegenheit hatte sich jedoch schon so lange hingezogen, dass ich schließlich der bestehenden Lumission beistimmte.
Auf der Rückseite des Sockels steht „Der Vaterstadt von Oskar Henschel gestiftet von dessen Witwe 1910“. Die Ausführung hatte sich zwei Jahre verzögert. Um das Postament ist ein großes Wasserbecken, in welches aus den vier Speiern die Wasserstrahlen fließen.“


Das Fotoalbum

Glocken für die Lutherkirche wurden von Sophie Henschel gestiftetGlocken für die Lutherkirche wurden von Sophie Henschel gestiftet. Brunnen: Links vom Hauptportal des Rathauses steht der Brunnen, den Sophie Henschel finanziert hat. Er wurde im Juli 1912 enthüllt, „es geschah auf meinen ausdrücklichen Wunsch ohne jede Feierlichkeit“, berichtet Sophie Henschel in ihren Aufzeichnungen.
Brunnen: Links vom Hauptportal des Rathauses steht der Brunnen, den Sophie Henschel finanziert hat. Er wurde im Juli 1912 enthüllt, „es geschah auf meinen ausdrücklichen Wunsch ohne jede Feierlichkeit“, berichtet Sophie Henschel in ihren Aufzeichnungen.
Fahne für die Henschelsche Sängervereinigung nach dem Ständchen.Fahne für die Henschelsche Sängervereinigung nach dem Ständchen.

Die Lebenserinnerungen hat Sophie Henschel in vier prächtige Erinnerungsbücher binden lassen, je ein Buch für ein Kind. Jedes Buch wiegt zwölf Kilo und umfasst 65 handbeschriebene Seiten. Außerdem werden auf acht Seiten Fotografien der Ahnen und Familienmitglieder gezeigt. Die restlichen 15 Fotoseiten und 30 Seiten für Text sind leer – das Album sollte wohl von den Kindern fortgeschrieben werden. Der Einband ist jeweils aus Leder, die Seiten haben Goldschnitt, der inzwischen verblasst ist.

Zuletzt geändert am: 24.05.2024 um 02:09

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