Er hielt in einem Brief um ihre Hand an

Veröffentlicht von Administrator am 03.04.2024

HNA vom 3. April 2024

Ein Leben in Sütterlinschrift: Sophie Henschel hat ihre Lebenserinnerungen für die vier Kinder aufgeschrieben. Damals war sie 71 Jahre alt. FOTO: CLAUDIA FESER
Ein Leben in Sütterlinschrift: Sophie Henschel hat ihre Lebenserinnerungen für die vier Kinder aufgeschrieben. Damals war sie 71 Jahre alt. FOTO: CLAUDIA FESER

LEBENSERINNERUNGEN Sophie und Oskar Henschel waren privat und dienstlich auf Augenhöhe


Sophie Henschel (1841-1915) hat mit 71 Jahren ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Sie zeigen uns ein privates Bild der Kasseler Lokomotivfabrikantin und Mäzenin. Wir veröffentlichen ihre Erinnerungen in Auszügen.

Junges Paar: Die Porträtfotos zeigen Oskar Henschel und seine spätere Frau Sophie, geborene Caesar im Jahr 1862. Er war damals 25 und sie 21 Jahre alt. Die Hochzeit war 1862; das Paar war 32 Jahre verheiratet. REPRO HNA Junges Paar: Die Porträtfotos zeigen Oskar Henschel und seine spätere Frau Sophie, geborene Caesar im Jahr 1862. Er war damals 25 und sie 21 Jahre alt. Die Hochzeit war 1862; das Paar war 32 Jahre verheiratet. REPRO HNA
Junges Paar: Die Porträtfotos zeigen Oskar Henschel und seine spätere Frau Sophie, geborene Caesar im Jahr 1862. Er war damals 25 und sie 21 Jahre alt. Die Hochzeit war 1862; das Paar war 32 Jahre verheiratet. REPRO HNA

VON CLAUDIA FESER


Kassel – Die Liebe eines der bedeutendsten Kasseler Ehepaares begann mit einem Brief: Sophie und Oskar Henschel. Sophie Henschel eröffnet damit ihre Erinnerungen an „Miterlebtes“, wie sie den vier Kindern in ihren Lebenserinnerungen schreibt.
Dort heißt es: „Am 9. Januar 1862 hielt Oskar in einem Brief an meine Mutter um mich an, und wir verlobten uns an dem Tag. Ich kannte meine Schwägerin Gustel Henschel seit meiner Kinderzeit und wäre wohl schon früher häufiger zu Henschels gekommen, wenn meine Mutter, die von dem guten Grundsatz ausging „Junge Mädchen müssen sich rar machen“ meine Teilnahme an einem Herren- und Damen-Kränzchen, zu dem Henschels aufforderten, nicht abgelehnt hätte. (...)

Die Hochzeit
Auf Oskars Wunsch trug ich ein Mullkleid mit einfachem Tüllschleier, der Kranz von alten Henschelschen Myrten von Gustel Henschel und zwei Freundinnen von mir gewunden.
Oskar hatte mich gefragt, ob ich lieber einen Brautschmuck von ihm haben möchte oder ob er seinen Arbeitern ein Fest geben sollte. Natürlich wollte ich Letzteres, und die Arbeiter waren sehr vergnügt auf dem „Bunten Bock“ (gemeint war die frühere Gaststätte an der Mönchebergstraße).
Am Abend vor der Hochzeit brachten uns die Arbeiter einen Fackelzug, dem ein Musikchor voraus schritt, der Chor des Arbeiterfortbildungsvereins sang auf dem Fabrikhof. Am Hochzeitsmorgen besuchten wir mit unseren Gästen die schön geschmückte Fabrik. (...)

Die Silberhochzeit

Seit 32 Jahren verheiratet: Kurz vor Oskar Henschels Tod 1894 entstanden die Porträts der Eheleute. Seit 32 Jahren verheiratet: Kurz vor Oskar Henschels Tod 1894 entstanden die Porträts der Eheleute.
Seit 32 Jahren verheiratet: Kurz vor Oskar Henschels Tod 1894 entstanden die Porträts der Eheleute.

Am 22. Juni 1887 war unsere silberne Hochzeit, wir wollten sie eigentlich mit unseren allernächsten Angehörigen in Eisenach feiern. Herr Direktor Schäffer bat jedoch dringend, nicht zu verreisen, da unsere Arbeiter seit Jahren eine Überraschung für diesen Tag geplant hatten.
Oskar bat, dass die Deputation dann aber schon ganz früh morgens kommen möge. Schon beim Morgengrauen hatte Kieckebusch (ein Schwiegersohn) die Ausschmückung des Esszimmers mit Myrten-Girlanden geleitet und Geschenke aufgebaut. Die ersten Gratulanten waren unsere vier lieben Kinder und die zwei Schwiegersöhne sowie der zwei Monate alte erste Enkel Rudolf von Keudell. Darauf kamen alle Hausgenossen und zwölf Arbeiter aus der Fabrik, die alle schon 30 bis 50 Jahre darin tätig waren und verschiedene Beamte. Sie schenkten uns einen wunderschönen silbernen, zum Teil vergoldeten Tafelaufsatz. (...) Es war Mittwoch, also Wassertag. So wollten wir nicht im Wilhelmshöher Hotel zu Mittag essen. Wir hatten uns früher bei Landpartien wohl Eierkuchen in der kleinen Wirtschaft am Herkules backen lassen, das wollten wir wieder tun und nahmen kaltes Roastbeef, Salat, Kompott und Fleischextrakt mit. Oskar meinte, es würde die Wirtsleute kränken, wenn wir Weine mitbrächten (...).
Am Oktogon angekommen, suchten wir uns einen schattigen Platz aus und ich bestellte die Kuchen. „Können’s nicht Pfannkuchen sein“, fragte die Wirtin. Ich verneinte und fragte, weshalb sie keine backen könnte – so wollte ich es tun. „Ja, aber ich habe nur noch zwei Eier und kann vor Tisch keine mehr beschaffen.“
Ich machte also von besagten zwei Eiern und Fleischextrakt Bouillon in Tassen. Oskar bestellte die beste Sorte Weißwein, die auf der Weinkarte stand.Die drei besten Sorten waren jedoch gerade alle geworden, die vierte hatte auch nicht die bestellte Etikette, und als Karl (der damals achtjährige Sohn und spätere Firmenchef) davon geschmeckt, sagte er: „Papa, ich glaube, das ist Apfelwein.“ Das beeinträchtigte unsere glückliche Stimmung aber nicht im Geringsten. Unser frugales Mahl mundete uns herrlich.“

Tod des Ehemanns
Anfang der 1890er-Jahre hatte Oskar Henschel gesundheitliche Probleme: Blasenpapillom, Migräne, Zahnentzündung. Sophie Henschel schreibt: „Seine früher so brillanten Augen litten häufig durch Flimmern oder Blendung, auch konnte er das Fahren nicht mehr so gut vertragen. Er ging zweimal den Weg zur Fabrik, abends auch zurück, mittags mir zuliebe fuhr er mit seinem Wagen. Ich fürchtete, er würde sich bei seiner großen Pünktlichkeit sonst abhetzen, er hatte immer bis zum letzten Augenblick so viel zu tun. (...) Am 8. November trat eine Lungenentzündung ein. In den ersten Tagen pflegte ich Oskar allein. (...) Dann wurde die Herzschwäche besorgniserregend (...) Sonnabend 17. November, wo die Abendtemperatur 39,5 betrug, wurde den auswärtigen Kindern telegrafiert, sie möchten kommen. (...)
Als Elisabeth am 18. November um 2 Uhr morgens aus Berlin gekommen und am Fußende seines Bettes stand, schlug Oskar die Augen auf und nannte mit verklärtem Aufleuchten ihren Namen. Ich weiß nicht, ob er nachher noch gesprochen hat, ich war wie betäubt von Schmerz. Um 10 Uhr abends tat Oskar den letzten Atemzug und sein treues Herz den letzten Schlag. (...) Ungewiss ist die Zukunft, gewiss aber dies: Solange die Firma Henschel & Sohn blüht, wird Oskars Name unvergessen sein, blühen und gedeihen aber wird sie, so lange sein Geist in ihr lebendig bleibt. Nie dankbar genug kann ich für die Liebe sein, welche mir meine Kinder und Schwiegersöhne in meiner tiefen Trauer um Oskars Tod bewiesen.“

Zuletzt geändert am: 24.05.2024 um 02:13

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